Haus zum Stein
Wohnkultur im Mittelalter
Ein wenig versteckt in der Altstadt, zwischen Fachwerkhäusern des Spätmittelalters, klassizistischen und modernen Wohnbauten der 1970er-Jahre, liegt das im Kern älteste Mainzer Wohnhaus.
Hat man das Haus zum Stein in der engen Gasse gefunden, nimmt man am besten ein wenig Abstand: Denn dann öffnet sich der Blick auf das dreigeschossige Gebäude mit seinem Mauern aus Kalkstein, den Schlitzfenstern im Erdgeschoss und den originalen romanischen Rundbogenfenstern.
Das Zeugnis früher patrizischer Architektur ist einer der wenigen erhaltenen mittelalterlichen Wohntürme Deutschlands.
Haus zum Stein auf einen Blick
Zahlen, Daten, Fakten
Errichtet: Ende des 12. Jahrhunderts
Bauherr: Eberhardus de Lapide
Stil: Romanik
Historisches
Der Bauherr des Haus zum Stein entstammte der Patrizierfamilie Judeus de Lapide (Judeus zum Stein), von der sich auch der heutige Name ableitet. Der erste schriftliche Nachweis für das Gebäude findet sich im Jahr 1250. Es handelt sich um eine Urkunde, die den Unmut des Mainzer Erzbischofs Christian II. über die Vergrößerung des Hauses zum Stein bezeugt. Der Ausbau zum höchsten Profanbau der Stadt durch Eberhardus de Lapide drohte das Ansehen des Erzbischofs zu mindern.
Zu einem Baustopp kam es trotzdem nicht, da Eberhardus sich verpflichtete, das Gebäude nach seinem Tod dem Domkapitel zu überlassen. Es blieb jedoch im Besitz der Familie Judeus de Lapide bis zum Aussterben des Geschlechts im ausgehenden Mittelalter. Die Familie nahm keine weiteren Veränderungen am Haus mehr vor.
Besitzerwechsel und Bedeutungswandel
Mit dem allgemeinen Erstarken des Bürgertums seit der zweiten Hälfte des ausgehenden 14. Jahrhunderts wandelten sich auch Bedeutung und Funktion der Wohntürme. Das Interesse galt nun verstärkt dem Wohnkomfort, womit Bedeutung und Ansehen der Türme schwand. Die heutige Innenaufteilung lässt leider nichts mehr von der ursprünglichen erkennen. Doch dürfte der Wohnkomfort bemerkenswert gewesen sein.
Als zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Haus zum Stein in den Besitz des St. Albanstiftes überging, war der Wohnturm bereits mehr zu einem Wohnhaus geworden. Sein Äußeres wurde den neuen Vorstellungen und Bedürfnissen angepasst. Neben einer neuen Geschosseinteilung öffneten nun einfache Rechteckfenster das bislang geschlossene Erdgeschoss, was den Wehrcharakter des Turmes deutlich minderte.
Nach dem Bedeutungswandel wechselten auch häufiger die Bewohner. Als zum Albanstift gehörendes Präbendenhaus wurde es zunächst von Kapitular und Domherr, Kleriker und Kanonikus von St. Alban und Dom bewohnt. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert verwaltete Georg Schönborn, Bischof zu Worms, das Gebäude.
Bewohnt wurde es von einem Mainzer Zimmermeister. Mitte des 17. Jahrhunderts lebten wohl geistliche Jungfrauen auf dem Anwesen, nachdem es Philipp Schönborns Eigentum geworden war. Spätestens in der Mitte des 18. Jahrhunderts, vermutlich jedoch schon um 1670 ging das Haus zum Stein in bürgerliche Hände über und wurde somit steuerpflichtig.
Zerstörung Ende des 18. Jahrhunderts
Nachdem es im Zuge der Revolutionswirren um 1793 bis zum ersten Obergeschoss völlig zerstört war, nahm der Krämer Johann Siegel, der damalige Besitzer, einige Erneuerungen vor. Eine Giebelfront mit Schieferverkleidung an West- und Südseite und ein neues drittes Geschoss bestimmten das Erscheinungsbild des Hauses bis in die 1980er-Jahre.
Rekonstruktion der vermuteten Gebäudegestalt
Im 19. Jahrhundert wechselten die Eigentümer häufiger, bis 1888 der Drechslermeister August Schad das Haus erwarb. Sein Urenkel, K. Schäfer, betrieb und finanzierte die Entwürfe zu einer Planung für die Sanierung. 1972 von der Stadt zum Sanierungsobjekt erklärt, entdeckte man im Zuge bautechnisch bedingter Instandsetzungsarbeiten 1974 die romanischen Überreste und damit ein stadthistorisch interessantes Anwesen wieder.
Problematisch war, dass neben den alten Umfassungsmauern aus der Romanik nur ein Fenster an der Nordmauer des Hauses erhalten geblieben war, das als Vorlage für die Rekonstruktion des Originalzustandes dienen konnte.
Es handelt sich um eine doppelt gekuppelte Fensterarkade. Für die ursprüngliche Dachform lagen keinerlei Befunde vor, so dass dessen Wiederherstellung nur auf Vermutungen beruhen konnte. Dadurch kam es aber auch zu Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Rekonstruktion.
Sozialdezernent, Denkmalpfleger und Architekt einigten sich schließlich auf Totalkonstruktion mit horizontalem Abschluss. Schäfer hatte wegen der hohen Kosten das „Herzstück" seines Anwesens 1979 in das Treuhandvermögen der Stadt übergeben. 1981 bis 1983 erfolgten die umfangreichen Restaurationsarbeiten der vermuteten Gebäudegestalt des 13. Jahrhunderts unter Einbeziehung der historischen Substanz. Die Stadt Mainz erhielt im Bundeswettbewerb „Bauen und Wohnen in Alter Umgebung" 1984 hierfür eine Sonderauszeichnung.
Architektur
Die architektonische und bautechnische Beschaffenheit erlaubt einen Rückschluss auf die Bedeutung und funktionale Nutzung des Hauses. Mit seinen 1,40 Meter starken Mauern war der Turm Teil der mittelalterlichen Wehranlage. Der sonst bei Wohntürmen übliche Hocheingang lässt sich am Haus zum Stein nicht nachweisen. Die Fenster aber waren erst in neun Meter Höhe über dem damaligen Straßenniveau eingelassen. Im Untergeschoss befanden sich lediglich vereinzelt Schlitzfenster, von denen auf der Ostseite heute noch zwei in Straßenhöhe erhalten sind.
Diese geschlossene Bauweise des unteren Baukörpers wie auch die starken Vollmauern bezeugen die Wehrfähigkeit des Haus zum Stein. So diente es bis zur Erweiterung der Stadtmauer im 14. Jahrhundert vermutlich als Schutz- und Verteidigungseinrichtung der Vorstadt Seelenhofen.
Aufgrund seiner Höhe ließ sich von dem Turm aus das weite Umland gut beobachten. Umgekehrt diente er als Wegweiser für Ritter, Kaufleute und Fahrende. Häufig wurde er auch in Urkunden als Lageangabe für andere, kleinere in der Umgebung liegende Häuser herangezogen.
Der wehrhafte Wohnbau hatte sich aus Vorbildern ober- und mittelitalienischen Geschlechtertürmen entwickelt. Besonders in der Toskana gab es im Mittelalter ein große Zahl solcher Türme. Im Besitz einflussreicher Patrizierfamilien und in günstigen Lagen konnten sie dazu beitragen, einzelnen Familien die Vorherrschaft über die ganze Stadt zu sichern. In Deutschland fanden die Wohntürme seit dem 12. Jahrhundert weite Verbreitung. Auch das Haus zum Stein entstand in dieser Zeit.
Heute
Das Haus zum Stein befindet sich seit 2000 im Privatbesitz von mehreren Mainzer Familien.
Literaturtipps
Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz,
hg. i.A. des Kultusministeriums vom Landesamt für Denkmalpflege, Bd.2.2. Stadt Mainz. Altstadt, Düsseldorf 1988.
Günther Gillessen (Hg.), Wenn Steine reden könnten.
Mainzer Gebäude und ihre Geschichten, Verlag Philipp von Zabern.
Ruth Schäfer, Wenn „der Stein" reden könnte,
in: Mainzer Vierteljahreshefte, Jg.5, Heft 2, 1985, S. 23-35.
Kontakt/Lage
Haus zum Stein
Weintorstraße 1
55116 Mainz